Eine spontane Antwort auf die Titel-Frage könnte ungefähr lauten: „In pandemischen Corona-Zeiten muss der Schüleraustausch ruhen. Die mit einem Austausch verbundenen Risiken sind zu hoch.“ Sehr richtig, sehr brav, aber auch sehr unspannend.
Doch es gibt für mich noch einen ganz anderen Zusammenhang zwischen Schüleraustausch und Corona. Er hat mit dem Gymnasium Farmsen zu tun und die Story ist zumindest romantischer. Um diesen Zusammenhang geht es hier.
Ein paar Informationen zu mir
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Ich bin Jahrgang 1953 und wurde mit 10 Jahren am Gymnasium Farmsen eingeschult, Klasse 5c. Meine erste Klassenlehrerin war Frau Schrank. Frau Schrank gab unter anderem Englisch-Unterricht, wir nannten sie Mrs. Cupboard.
Vor der 7. Klasse mussten wir uns entscheiden, ob wir mit Latein oder Französisch als zweiter Fremdsprache weiter machen wollten. Ich wählte auf Rat meiner Eltern Latein. Ihr Hauptargument: „Dann fallen Dir später andere romanische Sprachen leichter.“ Habe ich damals geglaubt. Heute muss ich sagen, dass sich das in keiner Weise bestätigt hat.
Meine jüngere Schwester kam allerdings auf den „Franzosen-Zweig“.
Schüleraustausch mit Frankreich
Schüleraustausch gab es natürlich nicht für „Lateiner“, mit wem sollte man da auch tauschen, vielleicht mit einer Schulklasse im Vatikan? Aber als meine Schwester drei Jahre später im „Austausch-fähigen“ Alter war, so ungefähr in der 10. Klasse, bekam ich immerhin die Kollateral-Nutzen so eines Programms mit. Das war 1971, ich machte gerade mein Abitur.
Der in Farmsen für den Schüleraustausch verantwortliche Französisch-Lehrer war Herr Lagemann. Die Schule, mit der getauscht wurde, war ein Gymnasium in Rennes, Hauptstadt der Bretagne. Der zuständige Deutsch-Lehrer dort hieß Monsieur Prat.
Die jungen französischen Gäste wurden in den deutschen Familien und Freundeskreisen natürlich herzlich aufgenommen und auf allerlei Feiern und Veranstaltungen herumgereicht. Man machte zusammen Ausflüge, besuchte Konzerte und veranstaltete in der Aula Suhrenland den „Franzosen-Abend“ mit diversen künstlerischen Darbietungen, Tanz, Musik, Sketche. Insgesamt waren die Austausch-Wochen immer ausgesprochen freundschaftlich, fröhlich und erlebnisreich.
Zarte Bande zu einem festen Knoten geknüpft
Eines Tages lud meine Schwester eine junge Französin aus dem Austausch, sie hieß Brigitte, zu uns zum Mittagessen ein. Brigitte fand ich sehr nett. In den folgenden Tagen trafen wir uns wieder, mal bei der, mal bei dem. Das Nettfinden beruhte anscheinend auf Gegenseitigkeit.
Es gingen dann noch ein paar Jahre ins Land, aber 1978 feierten Brigitte und ich schließlich Verlobung. Herr Lagemann war auf der kleinen Feier dabei. Wir heirateten 1980 in Vannes in der Bretagne und machten unsere Hochzeitsreise nach Quiberon, etwa 40km von Vannes entfernt. Mehr als Zelturlaub war nicht drin, aber für unseren Honeymoon war das okay.
Unsere erste Tochter kam 1981, sie heißt Laurence. 1984 kam die zweite Tochter und 1985 noch ein Sohn. Unsere Kinder sind nicht wirklich bilingual aufgewachsen, aber immerhin haben sie alle durch Ferien bei den französischen Großeltern und später durch Urlaube und Auslandssemester einen guten französischen Sprachsockel.
Laurence, die älteste der drei, ist Psychologin an der Charité in Berlin.
Und was hat das alles mit Corona zu tun?
Das Ganze hat zweierlei mit Corona zu tun. Zum einen hätten wir eigentlich dieses Jahr in Quiberon unsere Rubin-Hochzeit gefeiert, Rubin = 40 Jahre. Wegen Corona fiel diese bereits ein wenig vorbereitete Party komplett ins Wasser. Das war blöd. Vielleicht feiern wir statt dessen in 2021 unsere goldenes Kennenlernen.
Für meine kleine Geschichte hier ist indessen wichtiger, dass unsere psychologische Tochter an der Charité derzeit auf einer Covid-Intensiv-Station arbeitet und dort Patienten, deren Angehörige sowie das Personal betreut. Sie ist aktuell mittendrin im Pandemie-Kampf. Auf onkologischen Stationen und in der Palliativ-Medizin sind Psychologen nicht ungewöhnlich, das tragen die Kassen. Auf Intensiv-Stationen ist so etwas noch nicht etabliert, darum ist das auch zunächst ein Projekt.
Als Laurence im Januar 2020 auf dieser Projekt-Position anfing, ahnte sie nicht, was da im Frühjahr und erst recht jetzt auf sie zukommen würde. Damit hatte ja niemand gerechnet.
Natürlich arbeitet Laurence an vielen Betten auf der Station. Doch die Charité hat mehrfach auch französische Patienten übernommen. Hier kann sie, selbst halbe Französin, eine ganz spezielle Hilfen leisten: Patienten, die aus dem Koma erwachen und nicht verstehen, was um sie herum geschieht, sind besonders froh, einen muttersprachlichen Kontakt unter all diesen Marsmenschen in Schutzkleidung zu haben. Ist das jetzt der Himmel oder die Hölle? Non Monsieur, es ist die Charité in Berlin.
Den Partnern und Kindern, die oft ebenso rat- wie hilflos sind und nicht zum Patienten dürfen, geht es nicht anders. Sie freuen sich über verständige wie verständliche Worte, oft nur am Telefon. Und das medizinischen Personal ist mit der Betreuung beider Gruppen sprachlich oft überfordert und seelisch ohnehin stark belastet.
Die französische Sicht auf die Situation wurde hier ganz gut beschrieben: Die französisch-deutsche Solidarität bei der Zusammenarbeit der Krankenhäuser. (Unsere Tochter hat vor 10 Jahren geheiratet und heißt jetzt Laurence Erdur.)
Mein Resümee
Der „Franzosenaustausch“ am Gymnasium Farmsen in den 70er Jahren hat eine nun schon 40 Jahre haltende Ehe gestiftet, aus der drei fröhliche junge Menschen mit großer Frankophilie hervorgegangen sind. Neben manchen privaten und persönlichen Erlebnisse der grenzüberschreitenden Freundschaft ist so auch ein kleiner Beitrag für die allgemeine deutsch-französischen Solidarität in schwierigen Tagen entstanden.
Danke, Gymnasium Farmsen!
Peter Apel
Berlin, 2. Januar 2021